„Hervorragende soziale Kompetenz“ als zulässiges Bewerberauswahlkriterium

Das Bundesarbeitsgericht hat am 06.04.2022 entscheiden, dass die soziale Kompetenz ein sachliches und diskriminierungsfreies Auswahlkriterium ist, Aufnahme und Verbleib im sog. Expertenpool des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) setzen voraus, dass die Bewerberinnen und Bewerber für internationale Friedenseinsätze die Kriterien des vom ZIF erstellten Anforderungsprofils erfüllen. Hierzu gehört u.a. „hervorragende soziale und interkulturelle Kompetenz“. Ist das nicht (mehr) der Fall, besteht kein Anspruch auf Aufnahme bzw. Verbleib im Expertenpool. Die Beurteilung der Tatsachengerichte, eine Bewerberin oder ein Bewerber erfülle nicht bzw. nicht mehr alle Kriterien des Anforderungsprofils ist revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar.

Die Beklagte ist eine bundeseigene gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zu ihren Aufgaben gehört es, internationalen, supranationalen oder ausländischen staatlichen Einrichtungen ziviles Personal für internationale Friedenseinsätze und Wahlbeobachtungen vorzuschlagen. Zu diesem Zweck unterhält sie einen digitalen Expertenpool, der aktuell über 1.500 Profile von – potentiellen – Bewerberinnen und Bewerbern für unterschiedliche Tätigkeitsfelder in internationalen Friedenseinsätzen multilateraler Organisationen wie etwa der Europäischen Union, den Vereinten Nationen, der OSZE oder der NATO umfasst. Die Klägerin ist Volljuristin und stand als solche bis zum Jahr 2018 in einem Arbeitsverhältnis zu einem Unternehmen. Im April 2009 wurde sie in den Expertenpool der Beklagten aufgenommen und u.a. als Kurzzeitwahlbeobachterin in Albanien und als Rechtsberaterin im Kosovo eingesetzt. Im Januar 2018 beendete die Beklagte die Mitgliedschaft der Klägerin im Expertenpool, nachdem es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien gekommen war. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin im Wesentlichen die Feststellung des Fortbestands ihrer Mitgliedschaft im Expertenpool der Beklagten, Zugang zu diesem und die Freischaltung ihres dort hinterlegten Profils.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach eingehender Beweisaufnahme die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin blieb vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat sich in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Überzeugung gebildet, der Klägerin fehle die nach dem Anforderungsprofil für den Expertenpool verlangte „hervorragende soziale Kompetenz“. Diese Anforderung ist ein sachgerechtes, diskriminierungsfreies und nicht gegen sonstiges höherrangiges Recht verstoßendes Kriterium für eine Tätigkeit in internationalen Friedenseinsätzen und Wahlbeobachtungen. Weil es die Klägerin nicht mehr erfüllt, durfte die Beklagte sie aus dem Expertenpool ausschließen. Einen Anspruch auf die – weitere – „Mitgliedschaft“ im Experten-pool kann die Klägerin weder aus Art. 12 Abs. 1 GG noch aus einer vermeintlichen Monopolstellung der Beklagten herleiten. Ein darauf gestütztes „Recht auf Teilhabe“ käme nur in Betracht, wenn die Klägerin das Anforderungsprofil der Beklagten für den Expertenpool in Gänze erfüllen würde. Das ist indes nicht der Fall. Gleiches gilt, wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, Art. 33 Abs. 2 GG, nach dem alle Deutschen nach ihrer Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt haben, finde bezüglich der Aufnahme und dem Verbleib in dem von der Beklagten gebildeten Experten-pool Anwendung. Wenn Bewerberinnen und Bewerber das Anforderungsprofil nicht erfüllen, weil sie nicht über eine hervorragende soziale und interkulturelle Kompetenz verfügen, fehlt ihnen auch die von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Eignung.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. April 2022 – 5 AZR 325/21 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1. März 2021 – 21 Sa 51/20

Fristlose Kündigung wegen Drohungen gegen Vorgesetzten

Kündigt ein Arbeitnehmer einer Kollegin gegenüber glaubhaft an, er beabsichtige seinen Vorgesetzten aus dem Fenster zu schmeißen und er sei kurz vorm Amoklauf, kann dies eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

Das Arbeitsgericht Siegburg teilt in seiner Pressemeldung vom 10.02.2022 folgenden Fall mit: Der Kläger war bei der beklagten Stadt seit über 13 Jahren in der Buchhaltung beschäftigt. Der Kläger äußerte gegenüber seiner Kollegin nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten über diesen: „Diesen kleinen Wicht schmeiße ich aus dem Fenster. Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich bin kurz vorm Amoklauf. Ich sage dir, bald passiert was. Der lebt gefährlich, sehr gefährlich.“ Der Kläger erhielt am 28.12.2020 deswegen eine fristlose und hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.06.2021. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.

Mit Urteil vom 04.11.2021 wies das Arbeitsgericht Siegburg die Klage ab. Die fristlose Kündigung hielt es nach Vernehmung der Kollegin als Zeugin für gerechtfertigt. Der wichtige Kündigungsgrund lag nach Auffassung der Kammer darin, dass der Kläger in ernstzunehmender Art und Weise gegenüber seiner Kollegin Äußerungen getätigt habe, die sowohl die Ankündigung für eine Gefahr von Leib und Leben des Vorgesetzten als auch die Ankündigung eines Amoklaufs beinhaltet hätten. Der Kläger habe die Drohung nach Überzeugung des Gerichts absolut ernst gemeint. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

Arbeitsgericht Siegburg – Aktenzeichen 5 Ca 254/21 vom 04.11.2021.

Kündigung des Leiters des Gesundheitsamtes der Stadt Düsseldorf wirksam

In seiner Presserklärung Nr. 1/22 berichtet das LAG Düsseldorf über folgenden Fall:
Vor dem Arbeitsgericht ist heute über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung des
Leiters des Gesundheitsamtes durch die Stadt Düsseldorf entschieden worden.
Der Kündigung liegt folgender Vorwurf der beklagten Stadt zugrunde: Die Ehefrau des
Klägers, die wie der Kläger Ärztin ist, hat eine Honorarvereinbarung mit der Stadt, auf-
grund derer sie Notarztdienste für die Stadt wahrnimmt. Auf Grundlage dieser Verein-
barung hat sie Dienste abgerechnet, die jedoch zumindest zum Teil nicht von ihr, son-
dern vom Kläger geleistet worden sein sollen. Im Arbeitsvertrag des Klägers besagt
eine Klausel, dass die Tätigkeit als Leitung des Gesundheitsamtes die gelegentliche
Teilnahme am Notarztdienst umfasst. Die beklagte Stadt hörte den Kläger im Juni letz-
ten Jahres vor Ausspruch der Kündigung zu dem erhobenen Vorwurf an. Laut Nieder-
schrift zu dieser Anhörung, die der Kläger einen Tag später unterzeichnet hat, räumte
er ein, dass er abgerechnete Dienste zum Teil für seine Frau wahrgenommen habe.
Das Arbeitsgericht hat die zum 28.02.22 ausgesprochene Kündigung für wirksam er-
achtet und die Kündigungsschutzklage des Leiters des Gesundheitsamtes abgewie-
sen. Hierbei wurde der von der Stadt erhobene Vorwurf als berechtigt angesehen.
Zwar habe der Kläger die erhobenen Vorwürfe im Verfahren nicht ausdrücklich einge-
räumt. Er sei dem Vortrag der Beklagten aber auch nicht konkret entgegen getreten,
obwohl ihm eine eindeutige Erklärung dazu, ob er Dienste für seine Frau geleistet hat,
aus eigener Wahrnehmung möglich gewesen wäre. Dies wäre gemäß § 138 der Zivil-
prozessordnung aus Sicht der Kammer erforderlich gewesen, um den Sachverhalt als
streitig anzusehen.

§ 138 ZPO lautet wie folgt:
(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und
der Wahrheit gemäß abzugeben.
(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzuse-
hen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der
Partei hervorgeht.
(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene
Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
Gegen das Urteil kann der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht einlegen.

Arbeitsgericht Düsseldorf, 11 Ca 4335/21, Urteil vom 28.01.2022

Durchsetzung des Teilzeitanspruchs während der Elternzeit im Wege der einstweiligen Verfügung

Der Anspruch einer Arbeitnehmerin auf Teilzeit während der Elternzeit kann durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung gesichert werden. Die Besonderheiten des Teilzeitanspruchs, die sich insbesondere aus der Regelung zur Vollstreckung ergeben, stehen dem nicht entgegen. Das hat das Landesarbeitsgericht Köln am 04.06.2021 entschieden.

In seiner Presserklärung Nr. 5/21 berichtet das LAG Köln über folgenden Fall:
Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Kindes seit dem 20.06.2020 in Elternzeit, die am 24.04.2022 enden soll. Sie beantragte am 19.02.2021 ab dem 01.05.2021 ihre Teilzeitbeschäftigung in Elternzeit bis zum 24.04.2022 im Umfang von 30 Wochenstunden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mangels Beschäftigungsmöglichkeiten ab.

Das Landesarbeitsgericht gab dem Antrag statt. Es bejahte den Verfügungsanspruch, weil die Klägerin die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit während der Elternzeit glaubhaft gemacht habe. Zwar könne der Arbeitgeber dem Begehren durch den Hinweis auf dringende betriebliche Gründe (§ 15 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BEEG), die ebenfalls glaubhaft zu machen seien, entgegentreten. Allerdings genüge die bloße Behauptung, es bestehe keine Beschäftigungsmöglichkeit, zur schlüssigen Darlegung der Zustimmungsverweigerung regelmäßig nicht. Vielmehr seien die zugrunde liegenden Tatsachen zu bezeichnen. Die Darlegungen unterschieden sich insoweit nicht von dem nach § 1 Abs. 2 KSchG gebotenen Vortrag zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung. Die Ausgangssituationen seien vergleichbar.

Nach der Entscheidung lag auch ein Verfügungsgrund vor. An den Verfügungsgrund seien weder wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache „besonders strenge Anforderungen“ zu stellen noch genüge der Hinweis auf den bloßen Zeitablauf oder dass der Arbeitnehmer dringend auf den Verdienst angewiesen sei. Es bedürfe vielmehr wie stets bei der einstweiligen Verfügung einer umfassenden Interessenabwägung. Regelmäßig komme als Verfügungsgrund nur ein konkretes ideelles Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung in Betracht. Dieses habe die Klägerin vorliegend glaubhaft gemacht. Sie müsse bei einer weiteren Abwesenheit konkret befürchten, dass an ihrer Stelle andere Arbeitnehmer gefördert würden und sie auf ein Abstellgleis gerate.

Seien die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung gegeben, sei dem Arbeitgeber aufzugeben, den Arbeitnehmer mit der von ihm angestrebten Stundenzahl tatsächlich zu beschäftigen. Eine zeitliche Begrenzung des Beschäftigungstitels etwa „bis zur Entscheidung des Arbeitsgerichts in der Hauptsache“ sei in aller Regel nicht vorzunehmen. Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

LAG Köln vom 04.06.2021 (Az.: 5 Ta 71/21)

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